Mittwoch, 8. Juni 2011

Des Morgens

Der Regen donnert unablässig auf alles herunter, was unten ist.
Blitze zucken ruckartig durch die Dunkelheit.
Die Natur liefert ab.

Die Bedienung nicht.
Das werde ich ihr heimzahlen.
Vorausgesetzt sie sollte es heute noch schaffen die unüberwindbare Kluft zwischen meinem Tisch und dem Platz an dem sie lasziv an ihrer Kippe zieht, mit Vorwärtsbewegungen ihrer unglaublich schlanken muskulösen Schenkel zu überwinden. Vielleicht ist sie dazu motorisch einfach nicht fähig. Vielleicht hat sie aber auch das Konzept des Bedienens irgendwie nicht verstanden. Oder sie fühlt sich in ihrer empfindsamen Subjektwelt durch die Anwesenheit anderer Subjekte, die irgendwas von ihr zu wollen scheinen schlicht und ergreifend beeinträchtigt.
Vielleicht belastet sie dieses permanente Winken und rufen an den Rändern ihres Wahrnehmungshorizontes.

Gedankenverloren fährt sie mit der Spitze des linken Schuhs ihre nackte rechte Wade nach oben.
Langsam ganz langsam nähert die Schuhspitze sich der Kniekehle.
Ein helle Linie markiert die zurückgelegte Strecke auf der bronzenen Wade.

Mir wird heiß.
Ich atme.

Plötzlich blicke ich direkt in zwei rehbraunen Augen.
Sie steht ganz dicht vor mir und hat Sommersprossen, die tanzen während ihr schöner Mund Worte formt.

Ich verharre einen kurzen Moment, einem erkalteten Reptil gleich, verabschiede mich dann abrupt, murmele etwas von Anrufen und Terminen, verlasse das Café.

Ich stehe im Regen, der emotionslos auf mich herniederprasselt.
Hektisch blicke ich die Straße auf und ab, suche nach einer Bäckerei oder ähnlichem.
Ein leuchtendes Croissant verheisst Frieden - ich sprenge davon.

Leise vernehme ich Rufen hinter mir.
Am Rande meines Blickfeldes erspähe ich die rennende Bedienung mit einer Zeitung über dem Kopf. Ihre Schenkel dienen also doch zur Fortbewegung!
Sie hält mir meine Tasche hin. Wortlos starre ich auf ihre von Tropfen benetzten Beine.

Während sie zurückrennen, halte ich die Tasche eng an mich gedrückt.

Mein Gott. Kann man den nirgendwo einen entkoffeinierten Latte Macchiato mit Sojamilch trinken ohne aufs Härteste belästigt zu werden? Wo sind all die unattraktiven, molligen Bedienungen hin, die einem schon durch ihren Geruch ein Gefühl von Heimat und Frieden vermittelten? Ich will doch nur BEDIENT werden! BEDIENT! Nicht herabgewürdigt, stimuliert und verwirrt!

Ich werde zu Filterkaffee zurückkehren. Gutem alten Filterkaffee in einer vernünftigen türkischen Bäckerei. Kein Schnick, kein Schnack, Selbstbedienung und fertig. Ein Rühreibrötchen dazu und los. Diese Laktoseintoleranz hat mich zum Opfer gemacht!
Sojalatte.
Das sagt doch eigentlich schon alles: Sojalatte.

Ich wünschte, ich hätte Probleme.

2 Kommentare:

mundanomaniac hat gesagt…

Zwiebel,

schön, Deine kurze Stadtprosa.
Das astrologische Landei stapfte heute mit dem altem grünen Schirm durch den Schnürlregen zum Bahnhof und fuhr im Panoramawaggon nach Garmisch. Berge gar nicht vorhanden oder in Wolkenfetzen, Wiesen, Moos schräg gestreift tropfnass im Dunst.

Im Kreisort Hartz IV - Folgeantrag abgegeben.

Halbe Stunde bis zur Rückfahrt. Kurze Wanderung durch durch zwei drei Einkaufsstraßen im Nieselregen.
Touristen-Gewusel, Markenläden, Einkaufs-Ketten, Katalogwelt.
Zurück im ratternden Altwaggon mit Schülern und ihren Ohrstöpseln.

Wieder daheim, 20 Kilometer weiter nördlich im kleinen Markt, ab Bahnhof Stille, Vögel, tropfende Bäume, Blutdruck sinkt wieder...

Lieber Gruß an die Stadtzwiebel,
es lohnt sich noch da zu sein.

Mundanomaniac

mundanomaniac hat gesagt…

Zwiebel,

heute stapfe ich durch Deine Prosa und folge Dir Wort für Wort.

Du bist ja nun, wie ich weiß, Mitte, Anfang Dreißig. Ich mag Dir weiter zuhören.

Hoffe auf mehr.

Mundanomaniac